Freitag, 21. Dezember 2012

mission: eindruck schinden

Es ist inzwischen schon einen ganzen Monat her, dass ich mich morgens aufmachte, eine besondere Mission zu erfüllen. Dass ich auf die Fähre nach Europa stieg, hinterher die Tram von Eminönü aus nahm und bei Zeytinburnu in die Metro wechselte. Gesamtreisezeit: etwa anderthalb Stunden. Endhaltestelle: der Atatürk-Flughafen, der große internationale Flughafen auf der europäischen Seite Istanbuls. 
Ich war ein bisschen spät dran, darum standen sie schon ein paar Minuten lang im Ankunftsbereich, als ich mit großen Schritten die Halle durchquerte und unter den vielen dort wartenden Menschen nach bekannten Gesichtern Ausschau hielt. 
Mein Vater sah mich als erstes, aber er war schon immer besser darin Ausschau zu halten, als der Rest der Familie. Ich begann zu grinsen, als ich ihn sah - und dann tauchten auch Jessi und meine Mutter neben ihm auf und dann waren da nur Wiedersehensfreude, Umarmungen und sogar ein paar Tränen.
Es war ein ganz merkwürdiges Gefühl, sie auf einmal hier zu haben, meine Familie. Meine Heimat in dieser fremden Welt zu Besuch zu sehen, in der ich mich so bequem eingerichtet hatte. Aber wie auch schon bei Lena war es einfach eine wundervolle Gelegenheit, ihnen diese meine neue Erfahrungswelt nahezubringen, eine Chance, die ich wirklich zu schätzen wusste (und weiß) und in Anbetracht der Tatsache, wie viel pessimistische Rückmeldung ich im Vornherein auf meine Entscheidung, in der Türkei studieren zu wollen, bekommen hatte, wirklich zu nutzen entschlossen war. Und so verschmolzen die nächsten Tage beinahe in einer Überblendung der verschiedenartigsten Eindrücke ineinander: Frühstück im Hush-Hostel. Der Grand Bazaar. Hagia Sofia. Die blaue Moschee. Fähren. Die neue Moschee. Gewürzbasar. Dolmuş-Fahrten. Çay. Baklava. İskender. Ortaköy. Kumpir. Bosporus-Tour. Shopping-Center. Beşiktaş. Bağdat Caddesi. Kadıköy. Zurma-Dürüm. Dolmabahçe. Türkisches Brot. Rumeli Hisarı. Und selbstverständlich all die Male, die ich mit meinen frisch gebackenen Sprach- und Ortskenntnissen geglänzt habe - oder es zumindest versuchte. 


Dienstag, 18. Dezember 2012

mittelerde - oder auch nicht

"Wir haben hier keine Reservierung für acht Personen." Die Mitarbeiterin des Kinos blickt von ihrem Bildschirm auf und schaut mich gelangweilt an. Es könnte ihr nicht egaler sein. 

Ich starre sie ungläubig an und versuche zu herauszufinden, ob ich sie vielleicht missverstanden habe. Ob sie vielleicht etwas anderes gesagt hat - mein Türkisch ist schließlich noch immer nicht wirklich gut - aber nein, hat sie nicht. "Wenn Sie Ihre reservierten Karten abholen wollen, dann brauchen Sie den Code, den Sie am Telefon erhalten haben." 
"Aber wir haben nicht per Telefon reserviert!", erkläre ich ihr zum fünften Mal. "Wir waren am Samstag hier und haben es vor Ort gemacht!" Sie schüttelt nur erneut teilnahmslos den Kopf und ich gebe auf - meine Türkischkenntnisse reichen hier nicht aus und es lässt sich so oder so nichts machen, da die Vorstellung für den Hobbit komplett ausverkauft ist. Schon wieder. 

Niedergeschlagen kehre ich zu meiner Gruppe zurück und erkläre die Situation. Cansu kommt im Kino an, versucht es als Muttersprachlerin ebenfalls noch einmal - erfolglos. Unser Kinoabend wäre damit endgültig geplatzt. Die Stimmung ist zunächst im Keller, doch Nienke bietet an, dass wir einfach ein bisschen Bier kaufen und bei ihr in der Wohnung sitzen könnten. Christiaan, Jessica und ich kommen dem nach, die anderen - Cansu, Nate - der Amerikaner - und Fabio sowie Carolina - die Portugiesen - kehren einfach wieder nach Hause zurück. 

Als ich die Wohnung von Nienke betrete, die sie sich mit elf anderen Erasmus-Studenten teilt, begrüßt mich Ahmed, Türke, indem er den anderen Anwesenden lautstark verkündet: "Dieses Mädchen ist unglaublich gut in Türkisch. Ernsthaft, incredible. Und das in nur vier Monaten!" Vier einhalb, aber das sage ich nicht laut. Er verwickelt mich in eine Konversation auf Türkisch, fragt mich, was ich am Tag gemacht habe und was ich gegessen hätte - Anfängerniveau. Nichtsdestotrotz sind alle anderen Anwesenden beeindruckt, zu meinem Leidwesen. Ich bin nicht einmal stolz auf meine Leistung, aber es ist anscheinend mehr, als sie vollbringen könnten. Nun ja. Der Abend vergeht ziemlich schnell, es ist eine entspannte Runde inmitten von Menschen, die mir in den letzten drei einhalb Monaten in Istanbul ernsthaft ans Herz gewachsen sind. Einige werde ich bald nicht mehr wieder sehen, die ersten "Lebe Wohl"-Sagungen stehen kurz bevor. Ein Gedanke, der mich wirklich wehmütig macht. 



Dienstag, 27. November 2012

tandem!

Çekoslovakyalılaştıramadıklarımızdan mısınız?

Als ich vor vielen Wochen in einer Couchsurfing-Gruppe ein Wohnungs-Gesuch postete, hatte ich eigentlich auf Angebote zum Wohnen gehofft. Dass ich anstatt selbiger kurz darauf ungefähr fünfzig Nachrichten anderen Betreffs in meinem virtuellen Postkasten finden konnte (man darf sich die Bandbreite hier sehr weit vorstellen. Von 'Hey, du bist in Istanbul? Super, lass' mal treffen!' über 'Ich gehe am Sonntag auf Fototour, komm doch mit' bis hin zu 'Wenn du mal was brauchst, meld dich' war eigentlich alles dabei), kam eher unerwartet. Und doch, eine dieser Nachrichten kam von Batuhan, in deutscher Sprache. Er wäre gerade nach einem zweimonatigen Deutschlandaufenthalt in die Türkei zurückgekehrt, schrieb er. Er lerne Deutsch und könnte mir mit Türkisch helfen, wenn ich interessiert wäre. Klingt plausibel, dachte ich. Er war der einzige, dessen Nachricht ich beantwortete, und nach einigem Hin und Her hatte ich dann tatsächlich einen Sprachlernpartner. Einen ganz offiziellen. 
Ich habe Deutsch eigentlich immer als schwere Sprache betrachtet. Ernsthaft, all diese Dinge, die man beachten muss, all die Muttersprachler, die an ihr scheitern! Aber nein, nicht Batuhan. Nach eigener Aussage lernt er die Sprache seit etwas mehr als einem Jahr, aber davon ist nichts zu merken. Hin und wieder kommt es vor, dass mein von stundenlangem Vokabellernen für Türkisch und der ständigen Penetration in Englisch geschädigtes Gehirn nicht mit den richtigen Übersetzungen aufwarten konnte, mein selbst ernannter Türkischlehrer allerdings schon. Verrückt. In unserer aktuellsten Sitzung habe ich fünfzehn Minuten lang versucht, eines der längsten türkischen Worte (siehe oben) auswendig zu lernen. Ich bin jetzt quasi in der Lage, einen völlig sinnlosen Zungenbrecher aufzusagen, mit dem nicht einmal die meisten Muttersprachler zurechtkommen. Wenn das mal nichts ist. 

Montag, 26. November 2012

ach, übrigens

Wenn man in der Türkei studieren möchte, dann muss man eine Prüfung ablegen. Anders als in Deutschland ist nicht die Abschlussnote aus der Schule entscheidend, wenn es um die Wahl der Universität geht, sondern eine dreistündige Prüfung, deren Ergebnis die Eintrittskarte zu den Eliteuniversitäten des Landes sein kann - oder selbige für immer unzugänglich macht. In Istanbul gehören unter den privaten Universitäten die Koç Üniversitesi und die Sabancı zu den elitären Orten, für die das Ergebnis der erwähnten Prüfung wirklich gut sein muss, die Yeditepe ist eher im Mittelfeld anzusiedeln. Und auch, wenn das Äußere meiner Gastuniversität sehr ansprechend erscheint, so ist doch hinter der gepflegten Fassade und der modernen Ausstattung nicht viel Qualität zu finden, zumindest meiner Erfahrung nach. 
Das universitäre Niveau ist in keiner Weise mit dem in Deutschland zu vergleichen, der Anspruch an die zumeist (Achtung, Verallgemeinerung) wohlhabenden und verwöhnten Studenten eher entspannt. Und so kommt es dann, dass wir mitten im Semester, und das noch kurz nach der Zeit der Midterms, einfach mal eine Woche frei bekommen, weil anscheinend viele der Lehrer durch das Land reisen und die Universität bewerben. Ist ja schön und gut, aber eine ganze Woche ohne Unterricht, nur, damit ein paar der Lehrer Werbung machen gehen können? Interessante Mentalität. 
Unterm Strich ist es doch wieder gut für mich, denn so muss ich diese Woche keinen Finger krümmen und kann mich ganz um all die Dinge kümmern, die ich so oder so schon viel zu lange mal machen wollte. Meinen Weblog aktualisieren zum Beispiel. Und ohne Grund bis fünf Uhr morgens aufbleiben. Schweres Studentenleben!

neunundzwanzigster oktober

Der neunundzwanzigste Oktober ist ein Feiertag in der Türkei, ganz ähnlich dem dritten Oktober in Deutschland oder dem oder dem vierten Juli in den USA. Und doch gibt es da ein paar Unterschiede in der Art, wie Regierung und Volk diesen ihren Tag wahrnehmen und nutzen.

Ein Land feiert sich selbst - und seinen Helden

Fährt man am sogenannten Tag der Republik durch Istanbul, dann fällt auf, dass das normalerweise bereits sehr lebendige Stadtbild an diesem Tag noch farbenfroher erscheint. Wo sonst hin und wieder die eine oder andere türkische Flagge zu sehen ist, lassen sich plötzlich ganze Häuserfronten finden, die in rote Teppiche mit Stern und Halbmond darauf eingekleidet sind. Überall hängen Wimpel, Fähnchen, Flaggen und Lichterketten - und jede einzelne Fußgängerüberführung über den Highways trägt deutlich lesbare Spruchbanner mit den Worten "Herzlichen Glückwunsch zum 89. Jahrestag unserer Republik!". Ein Land, in innigster Liebe zu sich selbst. Eine Regierung, vollkommen hinter den Bürgern stehend. Ein Tag, voller Schein und Sein und reinster Glückseligkeit. Nicht wahr?
Es ist nun schon 89 Jahre her, dass Mustafa Kemal Atatürk, der Vater des Türken, das konservative, stark religiöse und vom ersten Weltkrieg geschwächte Osmanische Reich reformierte und die Republik der Türkei gründete, der erste Tag in der strahlenden Geschichte (s)eines neuen Landes. Das ist es zumindest, was es sein sollte. Und er mag ein Mann mit vielen Kritikpunkten gewesen sein, es mag der deutschen Seele ein wenig befremdlich anmuten, ein Volk so vernarrt in einen einzelnen Menschen zu sehen - Fakt ist, ohne Atatürk gäbe es die Türkei, wie sie heute existiert, womöglich nicht. Die große Feuerwerkshow am Abend des neunundzwanzigsten Oktober, die in Gedenken an eben diesen Mann veranstaltet wird und jedes Jahr an der majestätischen Bosporus-Brücke ihren Ausgang findet, ist also gerechtfertigt, die Regierung kann ihre Beliebtheit steigern, indem sie ihrem Volk das gibt, was es will, und das ist die bedingungslose Verehrung seines Helden.


Das gespaltene Land

All dies könnte so einfach ablaufen. Die Türken wollen ihre Feierlichkeiten, also gebt ihnen doch ihre Feierlichkeiten. Opium des Volkes in der Form von Personenkult. Doch ganz im Gegenteil, im Vorfeld des Tags der Republik gab es sogar Diskussionen darüber, die Umzüge, Feuerwerksshows und anderweitige Zelebrierungen in diesem Jahr ausfallen zu lassen, weil Stimmen laut geworden waren, die vermuten ließen, dass man regierungskritische Märsche und Proteste zu befürchten hatte. 

In den letzten Jahren hat sich die Regierungspartei unter Recep Tayyip Erdogan immer weiter in eine Richtung entwickelt, die die von Atatürk eingeführte strikte Trennung von Kiche und Staat zunehmend aufhebt und der Religion erlaubt, sich in Teile des Lebens zu schleichen, in denen sie nach europäischen Standards eigentlich nichts zu suchen hat. Die Aufhebung des Kopftuchverbots an Universitäten aus dem Jahr 2008 ist eines von vielen Beispielen dafür. In Gesprächen mit den Einheimischen gehen die Meinungen diesbezüglich auseinander: hin und wieder hört man, die Regierung eröffne den Menschen lediglich "Möglichkeiten" in der Religionsausübung, meistens jedoch fluchen alle darüber, dass das Werk ihres großen Idols, ihres Heilsbringers, nach und nach rückgängig gemacht wird (zumindest soweit, wie das geht, ohne zugleich mit dem EU-Beitritts-Interesse der Regierung zu interferieren).

Festlichkeiten zum Tag der Republik

well, ...

Da ist schon wieder beinahe ein Monat vergangen, seitdem ich mich das letzte Mal gemeldet habe. Ich schwöre, die Zeit vergeht hier anders als in Deutschland. Schneller, unaufhaltsamer. 
Aber nun gut. Dann machen wir uns mal daran, die Berichterstattung hier ein wenig zu vervollständigen...